Beginnen wir damit, was Selbstführung nicht ist. Es hat nichts mit Selbstmanagement oder Selbstorganisation zu tun. Diese beiden Fähigkeiten befassen sich damit sich selbst effizienter zu organisieren und bestehende Prozesse und Vorgehensweisen zu optimieren.
Selbstführung hingegen beschäftigt sich damit „das Richtige“ zu tun: unsere Energie, unsere Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen bewusst und sinnvoll zu lenken.
Was hat Selbstführung mit Resilienz zu tun?
Die Fähigkeit der Selbstführung wird besonders dann wichtig, wenn es schwierig wird. Selbstführung geschieht in einfachen Zeiten, wenn alles perfekt läuft, scheinbar wie von alleine. Denn dann stimmen in aller Regel unsere Erwartungen mit den Geschehnissen im Außen überein.
Erst, wenn wir in eine Krise geraden, unsere Erwartungen nicht mehr erfüllt werden, unser Selbstbewusstsein und unsere Selbstdisziplin schwinden, wird die Fähigkeit der Selbstführung essentiell.
Das bedeutet, Selbstführung ist ein Teilgebiet der Resilienz. Nur dann, wenn ich mich selbst gut führen kann, kann ich konstruktiv mit Problemen umgehen und gestärkt aus schwierigen Zeiten hervorgehen.
Negative Gefühle haben in der Arbeitswelt und in der Management Etage keinen Platz
Noch immer sind vor allem negative Emotionen im Business nicht gerne gesehen. Negative oder destruktive Gedanken sind verpönt. Eine Führungskraft soll stets Ruhe, Gelassenheit, Zuversicht und Souveränität verbreiten.
Bei den Menschen ist das Gehirn jedoch so konzipiert, dass es ständig versucht mögliche Probleme vorherzusehen, damit wir mögliche Gefahren vermeiden können.
Das heißt, ein permanenter Strom von Gedanken und Emotionen zieht durch unser Gehirn, wobei mit Sicherheit auch mal Wut, Zweifel, Enttäuschung und Ängste dabei sein werden.
Versuchen wir diese zu verdrängen, wird es nur noch schlimmer. Das heißt, wir brauchen eine andere Möglichkeit, um mit für uns anstrengenden Gefühlen umzugehen.
6 Bausteine der Selbstführung
Selbstführung ist keine Fähigkeit, die ich in zwei, drei Stunden schnell erlernen kann. Es ist ein Prozess, der uns über eine längere Zeit, ja vielleicht sogar ein Leben lang begleitet.
Je besser wir uns kennen- und schätzen lernen, desto mehr Verantwortung übernehmen wir in unserem Leben, nicht nur für unser Handeln, sondern auch für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden.
Wenn wir ausreichend Energie haben, uns selbst gut kennen und uns so annehmen wie wir sind, können wir am Ende bewusst unsere Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen steuern.
Erleben wir dann, dass wir tatsächlich Einfluss haben auf das, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und wie wir reagieren, nehmen wir unsere Welt und die Menschen anders wahr und werden somit eine neue Version unser selbst.
1. Selbsterkenntnis – Nur wer sich selbst kennt, kann sich und andere führen
Schon Wilhelm Busch wusste
„Wer auf den rechten Weg will, muss durchaus durch sich selbst hindurch.“
Die Schnelligkeit unserer heutigen Arbeitswelt lässt es oft nicht mehr zu, dass wir uns wirklich spüren. Oft sitzen wir völlig verspannt vor unserem Rechner ohne es zu merken.
Oder es gibt bestimmte Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen oder vielleicht auch Kund*innen, die uns regelmäßig aus der Ruhe bringen. Der Umgang mit diesen Personen ist stets anstrengend oder wir geraten mit bestimmten Zeitgenossen immer wieder aneinander.
Damit wir überhaupt in irgendeiner Form steuernd eingreifen können, müssen wir uns über unsere eigenen Gedanken, unsere Verhaltensweisen, unsere Emotionen und unsere aktuelle Befindlichkeit im Klaren sein.
Es geht letztendlich darum durch Eigen- und Fremdwahrnehmung unsere Stärken, Schwächen und Eigenheiten abzugleichen. Wir haben alle sogenannten blinde Flecke, das heißt wir haben Verhaltensweisen, die für unser Umfeld sichtbar sind, ohne dass wir uns derer bewusst sind.
Beim Kennenlernen von uns selbst und dem, was uns antreibt, helfen uns Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Feedback von außen.
2. Selbstakzeptanz – Kennen allein reicht nicht
Die eigenen Stärken und Schwächen anzunehmen ist nicht immer leicht.
Manchmal entdecken wir beim genauen Hinschauen Verhaltensweisen, die wir an uns selbst nicht mögen, oder wir bekommen ein Feedback von außen, das uns unangenehm ist.
Andere haben in ihrer Kindheit öfter mal den Satz „Eigenlob stinkt“ gehört und stellen daher ihr eigenes Licht oft unter den Scheffel.
Besonders in Krisensituationen geht es darum den eigenen Anteil an den Geschehnissen wahrzunehmen.
- Welche Fähigkeiten kann ich jetzt nutzen?
- Wo kann ich wirklich etwas bewirken und was ist vergebliche Liebesmühe?
- Was hat es mir zu tun, wenn ich in einen Konflikt gerate oder ein Projekt fehlgeschlagen ist?
- Was liegt in der Verantwortung anderer und darf auch dort bleiben?
Hier gibt es zwei Extreme. Manche Menschen neigen dazu die Schuld generell im Außen zu suchen, und andere reißen mit Vorliebe jegliche Verantwortung an sich.
Selbstakzeptanz bedeutet auch einen kritischen Umgang mit sich selbst
Neben der Akzeptanz unserer eigenen Schwächen und Stärke gehört auch die Fähigkeit zur Selbstkritik. Wir müssen in der Lage sein, unser Verhalten, unsere Leistung zutreffend zu beurteilen. Sie besteht nicht darin, die eigenen Leistungen kleinzureden oder gar schlechtzumachen. Im Gegenteil, Selbstkritik meint es immer gut mit uns.
Es wird vieles leichter, wenn wir gleichzeitig auch mal wohlwollend über uns selbst lachen können. So können unsere Mitmenschen nicht mehr über uns, sondern nur noch mit uns lachen.
3. Selbstverantwortung – oder auch Selbstwirksamkeit
Im nächsten Schritt bedarf es der Erkenntnis, dass meine Gefühle und Gedanken in meinen eigenen Zuständigkeitsbereich fallen. Nicht die Kund*in macht mich wütend, sondern meine Gedanken über diese Person, über mich selbst oder über die Situation lösen die Gefühle in mir aus.
In schwierigen Situationen suchen wir gerne mal die Schuld im außen. Dabei sind andere Menschen lediglich die Projektionsfläche unserer eigenen Ängste und Unzulänglichkeiten.
Die Übernahme der Verantwortung für sich selbst erscheint gerade in Krisensituationen zugegebenermaßen nicht immer leicht und es ist wesentlich bequemer diese nach außen zu verschieben.
Jedoch erst dann, wenn wir für unsere Gedanken, Gefühle, Emotionen und Handlungsweisen vollständig die Verantwortung übernehmen, haben wir tatsächlich die Freiheit daran etwas zu verändern.
4. Selbstfürsorge – damit die Batterie immer geladen bleibt
Selbst die besten Vorsätze zur Selbstführung sind zum Scheitern verurteilt, wenn uns die notwendige Kraft dazu fehlt. Selbstfürsorge bedeutet unsere grundlegenden Bedürfnissen nach Schlaf, Bewegung, Essen und Ruhe wahrzunehmen.
Oft scheitert die Selbstfürsorge, da die drei folgenden Faktoren nicht gelebt werden.
Selbsterkenntnis: Wir nehmen gar nicht wahr, dass wir Hunger oder Durst haben oder unser Kopf dringend eine Pause braucht, weil wir permanent unter Strom stehen.
Selbstakzeptanz: Vielleicht erlauben wir uns keine Pause, weil wir unsere Bedürfnisse als Schwächen wahrnehmen und wir Schwächen (vor allem an uns selbst) nicht akzeptieren.
Eigenverantwortung: Um Selbstfürsorge zu praktizieren, müssen wir bereit sein die Verantwortung für uns selbst zu übernehme. Wenn wir warten, bis wir von anderen die Erlaubnis für eine Pause bekommen oder das Arbeitsaufkommen mal weniger wird, kann es für die notwendige Erholung vielleicht auch schon zu spät sein.
5. Selbstregulation – Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen bewusst steuern
Wir Menschen haben die Fähigkeit unsere Gedanken und Gefühle bewusst zu steuern.
Ein einfacher Selbstversuch:
Stellen Sie sich vor einen Spiegel.
Denken Sie an den letzten Konflikt mit einem Kollegen, Mitarbeiter oder einem Familienmitglied. Nehmen Sie bewusst ihre Gedanken, Gefühle und auch ihre Körperhaltung wahr.
Und jetzt denken Sie an ein positives Erlebnis: Ihre erste Liebe, die Geburt Ihres Kindes, ein besonders toller Urlaub oder was immer Ihnen in den Sinn kommt. Nehmen Sie auch hier bewusst Ihre Gedanken, Gefühle und auch ihre Körperhaltung wahr. Was hat sich verändert?
Wechseln Sie jetzt ein paarmal zwischen den beiden Ereignissen und beobachten Sie, wie schnell sich Ihre Stimmung und Ihre Körperhaltung verändern kann. Lassen Sie sich gegebenenfalls Feedback von einer anderen Person über Ihre Mimik und Körperhaltung geben.
Selbstregulation braucht Übung.
Um unsere Gedanken und Gefühle in für uns schwierigen Situationen bewusst zu beeinflussen, brauchen wir neben den vier vorhergehenden Faktoren Selbsterkenntnis, Selbstakzeptanz, Selbstverantwortung und Selbstfürsorge auch noch die Kenntnis über unsere Stellhebel und Selbstdisziplin.
Es nützt uns nichts dies nur anzuwenden, wenn wir gerade wütend oder frustriert sind, sondern wir dürfen die Fertigkeit präventiv üben, um Routinen zu entwickeln und neue neuronale Muster in unserem Gehirn zu erzeugen. Die Feuerwehr übt auch den Ernstfall und wartet nicht bis sie gerufen wird, um ihre Fähigkeiten zu auszuprobieren.
Ganz wichtig: Selbstregulierung bedeutet nicht, die unangenehmen Gefühle zu ignorieren oder zu unterdrücken, sondern es geht darum, wie wir mit diesen Gefühlen umgehen und welche Bedeutung wir ihnen beimessen.
6. Selbstaktualisierung – neue Erfahrungen geben unserer Person ein Update
Die Erkenntnis, dass wir nicht das Opfer unserer Emotionen sein müssen, sondern dass wir eine Wahl haben, wird in der Psychologie auch als Selbstaktualisierung bezeichnet.
Die neue Erfahrung, dass wir aktiv Einfluss nehmen können, überschreibt die alten Erfahrungen und verändert somit unsere Wahrnehmung von uns Selbst und unserer Umwelt. So erfährt unsere Persönlichkeit Schritt für Schritt ein Update.
Selbstführung als Führungskraft entwickeln
Optimalerweise kennt und lebt eine Führungskraft das Konzept der Resilienz und übt sich stetig in Selbstführung. Als Initialzündung kann ein Workshop für die eigene Resilienz und für die Weiterentwicklung zur resilienten Führungskraft dienen.
Für die Umsetzung im Alltag bedarf es einer bewussten Wahrnehmung, das heißt Achtsamkeit, regelmäßige Selbstreflexion, Feedback von außen und eine bewusste Steuerung des eigenen Verhaltens.
Wir können uns diesen Vorgang vereinfacht wie einen zyklischen Prozess vorstellen, womit unsere Fähigkeit zur Selbstführung Schritt für Schritt wächst. Es ist eher wie Yoga oder Rückenschule als wie eine Schmerztablette nehmen.
Warum ist Selbstführung als Führungskraft wichtig?
Grund #1: Nur wenn wir uns selbst gut kennen und führen können, erfassen wir unseren Einfluss auf andere Menschen und können so bewusst Mitarbeiter*innen führen und fördern.
Grund #2: Die schnellen Veränderungen und Krisen sorgen für Unsicherheit und Stress unter den Mitarbeiter*innen. Eine Chef*in, die sich erfolgreich selbst führt, schafft Vertrauen. Wenn Menschen das Gefühl haben, da ist jemand, der meine Belange im Blick hat, und sich wertgeschätzt fühlt, werden Veränderungen leichter verarbeitet und angenommen. Die Führungskraft dient somit als Vorbild und wirkt wie ein Katalysator auf die Mitarbeiter.
Selbstführung – eine wichtige Kompetenz als Führungskraft und in der Krise
Selbstführung schützt uns nicht vor Talfahrten nach einer Krise, sondern sie ermöglicht uns in einer schwierigen Situation uns schnell aus dem Tal der Tränen zu befreien, Neues zu wagen und an den Herausforderungen wachsen.
Ich wünsche Ihnen eine (ent-)spannende Zeit umd viel Spaß bei der Entdeckung Ihrer selbst.
Es grüßt Sie herzliche,