Kompetenzen der Zukunft: Brauchen wir ein neues Denkmodell?

Jun 21, 2021

Hat VUCA ausgedient?

VUCA ist mittlerweile mehr als 30 Jahre alt. Es entstand zu Beginn der 1990er Jahre und war die Antwort des US Army War College auf den Zusammenbruch der UdSSR. Gepusht durch 9/11 wurde VUCA zu einem allgemeinen Denkmodell auch in der Wirtschaft.

 

  • Volatility – Unberechenbarkeit
  • Uncertainty – Ungewissheit
  • Complexity – Komplexität
  • Ambiguity – Mehrdeutigkeit

 

Das Denkmodell VUCA führte zur Agilität. Sie ist die unternehmerische Antwort auf den schnellen Wandel, wachsende Unberechenbarkeit, die Mehrdeutigkeit von Zahlen, Daten und Fakten sowie die stetig wachsende Komplexität in unserer heutigen Arbeitswelt.

Laut Wikipedia ist es ein Merkmal des Managements einer Organisation flexibel, proaktiv, antizipativ und initiativ zu agieren, um notwendige Veränderungen einzuführen.

Die Eckpfeiler der Agilität

Agiles Arbeiten ist nicht „einfach schneller und flexibler zu arbeiten“. Agiles Arbeiten hat einen klar definierten Rahmen der Zusammenarbeit. Ob ein agiles Team erfolgreich ist, basiert im Wesentlichen auf sechs Säulen:

 

  • Freiwilligkeit jedes Einzelnen
  • Vorhandensein eines klaren Ziels
  • Iteratives Arbeiten in kurzen Intervallen
  • Einbeziehung des Kunden
  • Kleine selbstorganisierte, crossfunktionale Teams
  • Hohe Werteorientierung

 

Agilität hat manches verbessert und sie hat Grenzen

An Stellen im Unternehmen, an denen eine große Komplexität herrscht und schnelles Reagieren und Agieren gefragt ist – wie zum Beispiel in der IT, in der ich selbst 16 Jahre gearbeitet habe – stellt agiles Arbeiten eine wesentliche Verbesserung dar. Wenn wir ganze Unternehmen agilisieren wollen, stoßen wir nicht nur auf Widerstand, sondern oft auch an Grenzen. Es gibt durchaus Bereiche im Unternehmen, die sich nur für Agilität Methoden eigenen, sowie es Menschen gibt die nicht bereit sind diesen Weg zu gehen. Die Ergebnisse erscheinen bis lang nicht wirklich überzeugend.

Brauchen wir neue Denkmodelle?

VUCA prägt seit rund 20 Jahren das Denken im wirtschaftlichen Kontext. Aus sozioökonomischer Perspektive ist dies eine kleine Ewigkeit. Folglich drängt sich die Frage auf, ist dieses Akronym überhaupt noch am Puls der Zeit? Müssen wir uns von diesem Begriff verabschieden oder ihn um neue Modelle erweitern?

Unternehmen wie die Hotelkette Upstalsboom unter der Leitung von Bodo Janssen, die sich Schritt für Schritt sehr erfolgreich an die neuen Herausforderungen anpassen, gehen Wege, die weit über das Prinzip der Agilität hinausgehen. Ebenso werden in dem Buch „Reinventing Organisation“ von Frederick Laloux einige Unternehmen und deren neue und interessanten Ansätze und Vorgehensweisen beschrieben.

BANI hebt VUCA auf den nächsten Level

Einer dieser Vordenker, die seit ein bis zwei Jahren über dieses Thema diskutieren,

ist der US-Forscher Jamais Cascio. Seine Gedanken sind in dem Beitrag „Facing the Age of Chaos“ nachzulesen.

Er hebt damit VUCA auf den nächsten Denklevel. Aus …

 

  • volatile wird brittle (brüchig)
  • uncertain wird anxious (ängstlich)
  • complex wird non-linear (keiner linearen Logik folgend)
  • ambiguous wird incomprehensive (unbegreiflich)

 

Stephan Grabmeier schreibt in der Zeitschrift mangerSeminare vom Februar 2021 über dieses neues Denkmodell BANI, welches er in enger Abstimmung mit Jamais Casico weitergedacht hat.

Schauen wir uns die einzelnen Bestandteile von BANI mal genauer an. Wie und wo bringt es uns weiter?

 

B – brüchig, spröde (Brittleness)

Ist etwas brüchig, besteht die Gefahr des plötzlichen Versagens. Gegenstände mit brüchigem Material tun uns jahrelang einen guten Dienst und plötzlich, ohne vorherige Ankündigung versagen sie ihren Dienst. Es ist schwierig bis unmöglich rechtzeitig auf den Zusammenbruch zu reagieren, um den Schaden möglichst gering zu halten.

Die Hauptursache für die Brüchigkeit unseres Systems ist unser Effizienzstreben. Betrachten wir ein paar Beispiele:

  • Unternehmen fokussieren sich nur auf ein Produkt oder eine Produktart. Wird diese nicht mehr benötigt, ein Konkurrenzunternehmen produziert günstiger, innovativer oder hat das bessere Marketing, kommt dieses Unternehmen sehr schnell an seine Grenzen.
  • Verzicht auf teure Lagerhaltung. Dies kann fatale Auswirkungen auf die Herstellung haben, wenn die Zulieferungskette nicht mehr funktioniert.
  • Firmen haben genau die Anzahl von Mitarbeitern und Kompetenzen, damit das Unternehmen läuft. Werden eine oder mehrere Personen krank, fehlt ihnen wichtiges Wissen oder die notwendige Kapazität, um die anstehenden Arbeiten zu leisten.
  • Die weltweite Kommunikation ist abhängig vom Strom, LAN bzw. WLAN, Computern und Daten.
  • Unsere gesamte Existenz in der westlichen Welt ist abhängig von Strom. Es gibt immer wieder Bücher, die beschreiben, was passiert, wenn unser Stromnetz zusammenbricht (Blackout).

Systeme sind voneinander abhängig. Bricht eines zusammen, hat dies weitreichenden, gegebenenfalls weltweiten Auswirkungen.

Systeme sind voneinander abhängig. Bricht eines zusammen, hat dies weitreichenden, gegebenenfalls weltweiten Auswirkungen.

Brüchigkeit bedarf Belastbarkeit und Resilienz

Dies gilt nicht nur für die einzelnen Mitarbeiter, welche mit unvorhersehbaren Veränderungen und unerwarteten Krisen umgehen müssen. Ebenso sollten die einzelnen Systeme, wie zum Beispiel Unternehmen, resilienter und belastbarer werden.

Ein Weg dazu ist die Diversifizierung. Vielfalt mindert das Risiko und erhöht die Resilienz eines Systems.

  • Es werden verschiedene Produktarten hergestellt.
  • Es gibt Redundanzen, d.h. ausreichend Kapazitäten, um den Ausfall von Menschen, Systemen etc. abzufangen.
  • Mehrere Mitarbeiten kennen sich mit einem Thema aus.
  • Ein hoher Prozentsatz nicht verplanter Arbeit erhöht die Innovation und ermöglicht eine schnelle Reaktion auf nicht vorhersehbare Ereignisse.

Diverse Systeme haben zusätzlich einen breiteren Fokus, nehmen somit Risiken schneller wahr und können diese in der Regel schneller verarbeiten.

Es steigt die Innovationkraft und somit die Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens.

A – ängstlich, besorgt (Anxiety)

Angst ist ein Thema, welches bislang im Business und in unserer Gesellschaft wenig Raum gefunden hat. In der Pandemie wurde soviel wie noch nie über Ängste und deren Auswirkungen gesprochen. Wobei viele dieser Ängste nicht auf eigenen Erfahrungen beruhen, sondern auf der Art und Weise wie heutzutage Berichterstattung erfolgt und auf unserem Bedürfnis stets auf dem neuesten Stand sein zu müssen.

Unser Verhalten auf Social Media verstärkt diesen Effekt. Oft verkennen wir, dass wir uns quasi in einer Informationsblase befinden, die unsere Ansichten, d.h. das, was wir glauben wollen, bestärkt, da wir uns mit anderen Menschen, die andere Meinungen vertreten, gar nicht erst befreunden, deren Beiträge nicht liken oder blocken. Und der Algorithmus der sozialen Kanäle tut sein Übriges.

In der heutigen Informationsflut wird es immer leichter an Informationen heranzukommen und immer schwerer zu unterscheiden, was hat Wert, was sind Fake-News, was sind wissenschaftliche Erkenntnisse, was sind die richtigen Interpretationen und was sind maßlose Übertreibungen.

Was entsteht ist…

  • Hilflosigkeit: Ist eine richtige Entscheidung überhaupt möglich?
  • Passives Verhalten: Warum entscheiden, es gibt eh keine richtige Entscheidung.
  • Aggressivität: Die Hilflosigkeit bahnt sich in Form von Wut ihren Weg.

Angst ist jedoch kein guter Berater. Sie engt unser Denken und unsere Handlungsoptionen ein. Sie macht uns unsicher.

Es ist wichtig der Angst ins Auge zu sehen, um jenseits der Angst neue Handlungsräume zu finden.

Ängstlichkeit braucht Achtsamkeit und Empathie

Die Achtsamkeit ermöglicht uns die eigenen Ängste und die unserer Mitmenschen wahrzunehmen. Das ist bereits der erste Schritt im Umgang mit der Angst. Erkanntes verliert seine Macht und die Angst ihren Schrecken.

Empathie hilft uns die Ängste nachzuvollziehen, dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen und angemessen darauf zu regieren anstatt ihn oder sie zu verurteilen.

 

N – nicht-linear, keiner linearen Logik folgend (Non-linearity)

In der Vergangenheit hat die Ökonomie das einfache Modell des Ursache-Wirkungs-Prinzips gelehrt. Dieses gilt jedoch nicht für komplexe Systeme.

Als Kind hat mich ein Bericht in der Zeitschrift PM fasziniert. Dort stand, dass wir mit all unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht vorhersagen können was passiert, wenn wir ein Kubikzentimeter Waldboden ausheben und entfernen.

Hier ein paar Beispiele für Ereignisse, deren Auswirkungen nur schwer vorhersehbar waren und immer noch sind:

  •  Die Pandemie als Auswirkungen der Globalisierung.
  • Die heutigen Auswirkungen der CO2-Emissionen der 1980er Jahre
  • Ökonomische Ausrichtung auf unbegrenztes Wachstum auf einem begrenzten Planeten.

Immer häufiger sehen wir, dass unsere Unternehmen eher einem natürlichen System gleichen. Unternehmen bestehen in erster Linie aus Beziehungen und menschlichem Verhalten. Und dies ist definitiv komplex.

    • Uns unbekannte oder unerwartete System haben Einfluss auf das Geschehen.
    • Die Wirkung tritt mit so großer Verzögerung ein, so dass wir es nicht zuordnen können.
    • Große Anstrengungen bringen nicht den erwarteten Erfolg.
    • Scheinbar kleine Entscheidungen oder Faktoren haben unerwartete Konsequenzen.

      Ein Beispiel ist die Wasser-Aktion von Christiano Ronaldo bei einer Pressekonferenz vor dem EM-Spiel Portugal – Ungarn. Nur 30 Minuten nachdem er die zu Werbezwecke aufgestellten Coca-Cola Flaschen gegen seine mitgebrachte Wasserflasche austauschte und er dabei demonstrativ sein Gesicht verzog, um seine Abneigung gegenüber diesem Getränk Ausdruck zu verleihen, fiel die Aktie von Coca-Cola. Für den Wert der Marke bedeutete das einen Verlust von 4 Milliarden US $.

      In einer nicht-linearen Welt müssen wir lernen systematisch zu denken, anstatt uns mit einfachen Erklärungen zufrieden zu geben.

      Nicht-linearität benötigt Kontext und Adaptivität

      Komplexe und nicht-lineare Zusammenhänge können wir dann greifen, wenn wir sie nicht einzeln betrachten, sondern immer in ihrem spezifischen Kontext betrachten. Das heißt wir dürfen in die Adlerperspektive gehen und betrachten, was bedeutet meine Entscheidung, mein Verhalten für das Gesamtsystem. Somit treten Einzelinteressen, egal ob von Einzelpersonen, Abteilungen, Teams oder anderen Gruppen in den Hintergrund und wir können unser Verhalten, egal ob als Individuum oder als Kollektiv, intelligent adaptieren.

       

      I – unverständlich, unbegreiflich (Incomprehensibility)

      In der heutigen Zeit erscheint uns vieles unverständlich und schlimmer noch manchmal sogar sinnlos. Wir begreifen nicht, warum Manger die ein oder andere Entscheidung getroffen haben und warum die Corona Maßnahmen so und nicht anders getroffen wurden.

      Antworten, die wir oft bekommen, helfen uns nicht weiter. Bekommen wir mehr Informationen, verwirren diese uns oft mehr und lassen uns verständnislos zurück. In der Fülle der Informationen können wir nicht mehr unterscheiden, was wichtig und was unwichtig oder sogar falsch ist.

      Auch hier bedarf es neuer Werkzeuge und eines neuen Denkens, damit wir uns mit solchen Unbegreiflichkeiten nicht abfinden müssen.

      Unverständlichkeit verlangt Transparenz und Intuition

      Sind Systeme transparent, können wir wesentlich effektiver auf unser breites Erfahrungswissen zurückgreifen und somit bessere intuitive Entscheidungen treffen.

      Transparenz bedeutet, alle Informationen liegen jedem zugänglich vor. Das gilt für bereits getroffene Entscheidungen, Ziele, Visionen, Werte, Unklarheiten, Unsicherheiten und Risiken,

      Agilität ist nur ein erster Schritt

      Somit ist die Agilität der Firmen ein wichtiger Schritt für Unternehmen der Zukunft. Und es reicht nicht aus anpassungsfähig zu sein, sich stärker am Kunden zu orientieren und in selbstorganisierten Teams und werteorientiert zu arbeiten, um mit den Herausforderungen der Zukunft erfolgreich umzugehen.

      Wir brauchen noch weitere wichtige Zukunftskompetenzen, die bislang nur zögerlich Einzug in die Unternehmen halten.

      Diese Fähigkeiten sind

      • Belastbarkeit
      • Resilienz
      • Achtsamkeit
      • Empathie
      • ganzheitliches und systemisches Denken
      • Anpassungsfähigkeit
      • größt mögliche Transparenz
      • Intuition

      Resilienz bedeutet sich selbst gut zu kennen, das Verhalten anderer besser zu verstehen und eine neue größere Perspektive aus sich selbst und die uns umgebende Welt zu erlangen. Somit werden all die oben genannten Ressourcen durch ein intensives Resilienz-Training gestärkt.

      Wenn wir die aktuelle Situation betrachten, in der sich die BANI-Welt von einer sehr extremen Seite zeigt, sind die genannten Ressourcen besonders wichtig und können uns helfen, diese Zeit gut zu überstehen und am Ende gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

      Auf zu neuem Denken und zu neuen Kompetenzen.

      Herzliche Grüße,